Docks

Es war Kadoc.
Und er war ebenfalls bewaffnet.
Ob das wohl an den Vorkommnissen des letzten Abends lag?

"Danke.
Es ist ein schöner... ein ruhiger Abend...
viel ruhiger als gestern."

Ihr Blick wanderte zu dem sternenklaren Himmel.
Sie wurde die Bilder von der wilden Meute, die sich zum Schafott drängten, immer noch nicht los. Aber vielleicht war es auch gut so...

"Gibt es einen Grund, warum wir uns genau hier treffen?"

Vielleicht nicht so taktvoll, aber diese Frage interessierte Visenya wirklich brennend.

Ja, den gibt es.

Er dreht sich wieder in Richtung des Meeres und blickt hinaus. Der sanfte Klang der Wellen, welche an die Brandung schlagen und sich wieder zurückziehen, löst bei ihm ein Gefühl des inneren Friedens aus. Hier kann er Abschalten und entspannen... und auch vergessen.

Hier komme ich immer her, wenn ich einmal eine Pause von all dem Radau brauche. Außerdem kann man hier in ruhe Reden, ohne das man von irgendwem gestört wird. An dem äußersten Rand der Docks hier verirren sich normalerweise keine Leute.

Antwortet er mit einer ruhigen Stimme.

Ruhig war es hier in der Tat, außer dem Geräusch, wenn sich die Wellen an den Felsen brachen, war hier nichts zu hören.
Die Geräusche, die eine Stadt, sonst zu machen pflegte. Der Lärm kam nicht bis hier hin.
Visenya konnte Kadoc verstehen.

"Ruhe haben wir uns wohl verdient, nachdem was gestern auf dem Marktplatz vorgefallen ist. Ich hoffe, Ihr seid nicht verletzt worden?."

Sie wandte ihrem Blick dem Meer zu und sprach dann weiter.

"Die Stadtwache hat diesen Mann absichtlich dem wütenden Mob preisgegeben.
Ich kenne diesen Mann nicht, und ich weiß auch nicht, was er getan hat... denn ich war nicht dabei.
Aber er wurde verurteilt und hat seine Strafe erhalten.
In meinen Augen hat er seine Strafe damit eingebüßt und die Stadtwache hat ihn in diesem Moment zum Opfer gemacht, als sie ihn der Menge überließ."

Wieder machte sie eine kurze Pause.

"Und ich glaube, ich kann nun verstehen, warum ihr eine schlechte Meinung von der Stadtwache habt.
Ich werde mich nicht der Stadtwache anschließen."

Die Stadtwache tut was sie von Oberst Strommer aufgetragen bekommen und Obster Strommer tut, was er vom Fürsten aufgetragen bekommt. Unter dem Oberst stehen Viele, die durch den Vorwand, Recht zu tun, ihre kranken Handlungen rechtfertigen. Es sind nicht alle so, doch leider viel zu wenige sind guten Herzens.

Kurze stille Herrscht zwischen Kadoc und Visenya, ehe er weiter spricht.

Ich kenne diesen Mann, sein Name ist Karde. Ihm gehörte der Alchemieladen auf dem Marktplatz, der jetzt ausgebrannt ist. Er ist kein übler Kerl, nur etwas seltsam, wie halt Alchemisten eben sind....

Doch das tut nichts zur Sache. Einen Verwundeten einer wütenden Meute zum fraß vorzuwerfen, so etwas macht man nicht. Sie hätten ihn getötet...

Kurz hält er inne und ballt die Fäuste.

Eine solche Tat als Rechtsprechung zu betrachten ist gegen jeden Aspekt für den Lyst steht.

Seine Fäuste entspannen sich wieder

Mach dir keine Sorgen um mich. Hat es dich erwischt?

Sein blick wandert zu Visenya.

Der Fürst also...
Und bald würden mehr Gesetze folgen und diese Gesetze würden vermutlich noch mehr Verurteilte nach sich ziehen. Visenya hatte diesen Fürsten noch nicht zu Gesicht bekommen, aber sie hegte jetzt schon einen Groll gegen ihn.

"Mir ist nichts passiert. Ein paar Kratzer, aber nichts, was nicht wieder verheilt."

Dabei rieb sie sich den Arm, an dem sie ein Stein getroffen hatte. Die Wunde schmerzte nicht mehr, aber Visenya war sehr verwundert darüber gewesen, als sie es heute morgen bemerkt hatte.
Gestern war es ihr nicht einmal aufgefallen.

"Ich bin froh, dass es nicht zu einem wirklichen Kampf gekommen ist. Denn dann hätte ich mich wohl kaum behaupten können. Außerdem waren diese wütenden Menschen am Marktplatz auch nicht die eigentlichen Schuldigen."
Es würde schwer bis unmöglich für sie werden, die eigentlich Schuldigen dafür zur Rechenschaft zu ziehen.

Visenya wandte den Blick wieder vom Meer ab und blickte Kadoc an.

"Ich werde mir die nächsten Tage hier in Nensîr eine Arbeit suchen. Damit ich mein eigenes Geld verdiene und dir meine Schulden zurückzahlen kann...
Aber das ist nicht alles... ich wollte dich fragen, ob du mir das kämpfen beibringst."

Nach einer etwas kurzen unsicheren Pause fügte sie hinzu.

"Ich werde dich dafür auch bezahlen, sobald ich eine Arbeit gefunden habe."

Es gibt nicht immer nur Schwarz oder Weiß, vieles ist ein was hier passiert ist in Grau gehüllt. Es ist schwer den wirklichen Ursprung des Übels zu erwischen. Die Menschen glauben dass, was ihnen erzählt wird und das sind oft verdrehte Tatsachen...

Antwortet er mit einem seufzen. Wenn es doch nur Schwarz und Weiß gäbe, wäre die Sache hier in Nensîr viel einfacher, doch leider ist dem nicht so. Vieles wird aus dem Wunsch heraus Gutes zu tun getan und dennoch endet es in Leiden der Anderen.

Schließlich blickt Kadoc sie an.

Ich soll dir das Kämpfen beibringen? Doch für was willst du kämpfen?

"Für die die ich geschworen habe zu kämpfen.
Für die Unschuldigen, die sich selber nicht wehren können.
Ich weiß, dass es nicht so einfach ist, darüber zu urteilen, wer schuldig ist und wer nicht.
Und es wird viele Fälle geben, in denen die Grenzen verschwimmen.
Aber gute Menschen sind es immer wert gerettet zu werden."

Visenya lächelte.
In letzter Zeit tat sie das oft. Mehr als in ihrem bisherigen Leben zuvor.

"Ich möchte auch für meine Familie kämpfen, für unsere Ideale und für mich selbst.

Vermutlich klingt das nach schrecklich wirren Worten."

Nein, es klingt nicht nach wirren Worten. Es klingt, als wolle sich ein tapferes Herz für die schwachen Wesen dieser Welt einsetzen, obwohl es selbst noch nicht stark genug ist, dennoch würde das tapfere Herz nicht mit der Wimper zucken und sich schützend vor die Schwachen stellen.

Sagt er mit einem lächeln auf den Lippen zu ihr.

Gut ich unterrichte dich im Kämpfen und alles was dazu gehört, denn ich sehe große Stärke in dir. Gib mir ein paar Tage Zeit, um die nötigen Vorkehrungen zu treffen, dann werde ich dich im Anker aufsuchen.

Und mach dir keine Sorgen um das Geld, gib es mir wenn du es hast...

Visenya war froh, dass Kadoc sie verstand.
Und er stimmte zu.
Erneut überkam sie eine Welle des Glückes.
Ihr war klar, dass es ein langer... ein sehr langer und steiniger Weg werden würde. Und das sie viel dafür leisten musste.
Doch es war ein Anfang.

Ein Anfang...

"Danke. Vielen Dank.
Ich schwöre, dass ich hart an mir arbeiten werde.."

Das setze ich voraus.

Meint er kurz mit einem nicken zu ihr. Schließlich dreht sich in Richtung der Stadt und geht langsam los.

Ich werde nun gehen. Bleibst du noch oder kommst du mit?

Visenya ließ ihren Blick über das Meer wandern und sah dann zu Kadoc, nickte ihm zu.

"Ich möchte noch etwas bleiben."

Es war wirklich ein friedlicher Ort. Etwas, das Visenya vermisst hatte, seit sie nach Nensîr gekommen war. Sie wollte noch einen Moment hier verweilen und ihre Gedanken sammeln.

"Hab Tausend Dank, dass du mir eine Chance gibst."

Da sie annahm, dass sie sich heute nicht mehr sehen würde, fügt sie noch hinzu.

"Gute Nacht."

Kadoc nickt kurz und geht los. Er hebt noch kurz die Hand zur Verabschiedung.

Gute Nacht.

Hört man noch von ihm, eher er in der Dunkelheit der Nacht verschwindet.

Visenya stand noch eine ganze Weile am Wasser, bevor sie sich wieder auf den Weg zum Goldenen Anker machte.

Ihre Gedanken wanderten bis zu dem Turm an dem ihre Familie lebte.
Sie fragte sich, wie es Ihnen in der Zwischenzeit ergangen war, ob ihr Großvater seinen Lebensabend genoss. Ob ihre Schwester Saviera eine Sängerin geworden war...
Ob Dalia ebenfalls in die Welt ausgezogen war...

Es waren Tausend Dinge der Vergangenheit, die ihr durch den Kopf gingen.
Und viel Ungewisses, was noch in der Zukunft lag.

Doch eines wusste sie, sie war ihrem Ziel ein Stück näher gekommen.
Und in diesem Augenblick freute sie sich auf den weiteren Weg, der noch vor ihr lag.